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„Das blaue Buch“ – Mikroskopie in der biologischen Abwasserreinigung

Donau Chemie Wassertechnik
Diesmal habe ich für alle interessierten Leser eine Buchempfehlung zum Thema "Mikroskopie in der biologischen Abwasserreinigung".

Tardigrada (Canva)Wissen Sie, was Tardigrada sind? Vermutlich nicht, aber Sie haben vielleicht schon seine deutsche Bezeichnung gehört oder gelesen. Tardigrada ist die lateinische Bezeichnung für Bärtierchen. Das sind jene sonderbaren, winzigen Geschöpfe mit acht Stummelfüßchen, die als nahezu unzerstörbar gelten. Bärtierchen können sich in Stresssituationen in einen todesähnlichen Zustand versetzen und so extremste Bedingungen wie Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt, hohe radioaktive Strahlung und sogar das Vakuum des freien Weltalls überdauern. Tardigrada wird es daher noch geben, wenn es den homo sapiens schon lange nicht mehr gibt.


Das blaue Buch: Belebtschlamm unter dem Mikroskop

Haben Sie eines dieser außerirdisch anmutenden Wesen schon einmal selbst gesehen? Die meisten von Ihnen vermutlich nicht. Doch wenn Sie eine Kläranlage zuhause haben, deren Schlammalter nicht zu kurz ist und ein Mikroskop zur Verfügung haben, stehen die Chancen nicht schlecht, einmal einen dieser „Wasserbären“ zu entdecken.

Ein mikroskopischer Blick auf eine biologische Schlammprobe ist immer wieder ein faszinierender Blick in einen fremdartig wirkenden Mikrokosmos. Eine Vielzahl an winzigen Mikroorganismen wuseln durch das Bild, einige wirken wie kleine Käfer, die an den Rändern der Schlammflocken entlang huschen, andere bewegen sich langsamer und ändern Formwandlern gleich ständig ihre Gestalt und wieder andere sitzen auf Stielen und saugen mittels rotierender Schaufelräder Kleinstpartikel in den transparenten Körper.

Doch wie heißen diese sonderbaren Geschöpfe? Was bedeutet es, wenn ich viele davon erblicke oder sich vielleicht auch einmal gar nichts bewegt? Sie könnten einen fachkundigen Experten fragen, sofern Sie einen kennen oder Sie ziehen einschlägige Fachliteratur zu Rate.

Wenn Sie sich schon etwas länger mit der Mikroskopie von Belebtschlämmen kommunaler Kläranlagen beschäftigen, so haben Sie vielleicht schon einmal von dem Buch „Das mikroskopische Bild bei der biologischen Abwasserreinigung“ – allgemein bekannt als das „Blaue Buch“ gehört oder Sie sind einer der Glücklichen, die sogar ein eigenes Exemplar zur Verfügung haben. Die letzte Auflage stammt aus 1999 und war seit entsprechend langer Zeit hoffnungslos vergriffen.


Das mikroskopische Bild bei der biologischen Abwasserreinigung

Vor einiger Zeit haben sich wieder namhafte Experten der Belebtschlammmikroskopie aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengefunden, um auch einer neuen Generation von Kläranlagen-Fachkräften die Mikroskopie näher zu bringen. Immerhin gibt das mikroskopische Bild zusätzlich zu den chemisch-physikalischen Parametern der Eigenüberwachung wichtige Aufschlüsse über Stabilität oder Störungen der biologischen Prozessstufe der Kläranlage.

Die Bearbeitung der Neuauflage übernahm die Arbeitsgruppe KA 6.1 „Mikrobiologie in der Abwasserreinigung“ in der DWA – darunter auch Experten, die schon an der Ausgabe von 1999 mitgearbeitet haben. Herausgegeben wird das Buch wie schon vor fast 25 Jahren vom Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU).

Das Ergebnis ist wie schon sein Vorgänger ein umfassendes Kompendium zur Beurteilung des mikroskopischen Bildes, ergänzt mit neuen Erkenntnissen, angepasst an den Stand der Technik, ausgestattet mit neuen Abbildungen und den Anforderungen der heutigen Zeit entsprechend.

Deutlich ausführlicher werden die Fadenbakterien behandelt – auch in Form eigener Kapitel, die bei der Identifikation der für eine Reihe von Betriebsproblemen verantwortlichen oder zumindest daran beteiligten Mikroorganismen helfen sollen. Außerdem wird die Biologie der fadenbildenden Bakterien genauer beleuchtet und auf mögliche und sinnvolle Gegenmaßnahmen eingegangen.


Bestimmungsschlüssel-Tafeln, Steckbriefe und Excel-Tool

Bestimmungsschlüssel-Tafeln sowohl für Indikatororganismen wie auch Fadenbakterien erleichtern zusammen mit übersichtlich gestalteten Steckbriefen deren Identifikation. Zusätzlich wurde noch ein praktisches Excel-Tool entwickelt und zum kostenlosen Download bereitgestellt, was eine Interpretation und Auswertung des mikroskopischen Bilds erleichtert. So lassen sich Betriebsprobleme bzw. deren potentielle Ursachen einordnen und früher, im Idealfall rechtzeitig vor Auftreten von erheblichen Problemen, Maßnahmen ergreifen. 


Färbemethoden in der biologischen Abwasserreinigung

Natürlich dürfen die für die Erkennung der Fadentypen meist unerlässlichen Färbemethoden nicht fehlen. Sie haben sicher schon etwas von der Gramfärbung gehört? Aber kennen Sie auch die Neisserfärbemethode, die Kristallviolettfärbung oder den Schwefeltest? Das blaue Buch gibt praxis-orientierte Anleitungen, wie diese Färbungen durchzuführen sind und was dabei zu beachten ist. Glauben Sie mir, das Einfärben der Schlammproben macht die mikroskopische Untersuchung der Schlämme erst so richtig spannend. Ich würde allerdings empfehlen, dabei Handschuhe anzuziehen, wenn Sie nicht mit rot und blau gefärbten Fingern nach Hause gehen möchten.


Moderne molekularbiologische Identifikationsmethoden

Schließlich dürfen auch moderne molekularbiologische Identifikationsmöglichkeiten wie der FISH Test in der Neuauflage nicht fehlen. Auch wenn sich zeitweise der eine oder andere Fisch im Nachklärbecken recht wohl fühlen kann, hilft dieser Test nicht, Fische zu erkennen, sondern Bakterien anhand ihrer DNA zu identifizieren.

Mittels so genannter spezifischer Gensonden können bei der Fluoreszenz in situ Hybridisierung (daher „FISH“-Test) spezifische Bakterien sichtbar gemacht werden - vorausgesetzt Sie besitzen ein Fluoreszenzmikroskop. So können nicht nur Fadenbakterien mit hoher Genauigkeit zugeordnet, sondern darüber hinaus auch andere Bakterien (z.B. Nitrifikanten) sichtbar gemacht werden. Auch die Anzahl lebender und toter Organismen sowie die Stoffwechselaktivität lässt sich mittels molekularbiologischer Methoden quantifizieren.


Abwasserbehandlungsverfahren und systematische Schlammbeurteilung

In den ersten Kapiteln werden die Grundlagen hinterleuchtet: ein Überblick über verschiedene Abwasserbehandlungsverfahren und ihre biologischen Grundlagen. Hier erfahren Sie etwas über klassische Belebtschlammverfahren mit Nachklärbecken, genauso wie SBR-Prozesse oder Biofilmverfahren. Bakterienwachstum, Schlammbelastung und Schlammalter werden anschaulich erklärt.

Ein ganz wesentliches Element in einem Buch über die mikroskopische Schlammuntersuchung ist natürlich der Aufbau und die Handhabung des zentralen Arbeitsgeräts: wie funktioniert ein Mikroskop, was ist Phasenkontrast, was ist ein Okular und ein Objektiv, wie justiere ich die Leuchtfeldblende und den Kondensor? Wie pflege ich ein Mikroskop? Wie stelle ich Schlammpräparate her und was muss ich dabei beachten?
Wenn Sie das alles wissen, dann steht einer systematischen mikroskopischen Schlammbeurteilung nichts mehr im Wege. Die Bestimmungstafeln werden Sie dabei unterstützen, Ciliaten wie die festsitzenden Glockentierchen Vorticella convallaria oder Aspidisca cicada (die wie kleine Käferchen durchs Bild huschen) zu erkennen. Sie werden Flagellaten wie Peranema sp. oder auch Amöben wie Arcella sp. im Bild sehen. Sie werden Fadenbakterien wie die an Spaghetti erinnernden Microthrix parvicella genauso identifizieren können wie die verästelten Nocardioformen Actinomyceten (Nocardia). Mit Hilfe der Steckbriefe werden Sie beurteilen können, welche Bedeutung die einzelnen Organismen für den Betrieb der Anlage haben.

Ich kann nur empfehlen, sich ein Exemplar des "blauen Buchs" zu sichern und darin zu schmökern.

Übrigens, unser Tardigrada, das Bärtierchen, ist ebenso im blauen Buch beschrieben. Sein Steckbrief und ein paar nette Bilder finden Sie auf Seite 172.
Donau Chemie Wassertechnik
Weitere Informationen zum Thema sowie den Downloadlink zum blauen Buch finden sie auf den Seiten des Bayrischen Landesamtes für Umwelt







www.donau-chemie.com/wassertechnik

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