Einblicke

Herausforderungen im Einkauf: Wie die Krise die Beschaffung verändert hat

Donauchem
Einkäufer haben es derzeit nicht leicht. Neben den täglichen Herausforderungen müssen sie nicht nur Marktentwicklungen im Blick haben, sondern auch mit angespannten Rohstoffmärkten, extremen Preiserhöhungen und gestörten Lieferketten umgehen. Wir haben mit dem Einkaufsteam der Donauchem darüber gesprochen, wie sich der Einkauf seit letztem Jahr verändert hat und welche Herausforderungen zu bewältigen sind.
 
Einkaufsleitung: Justine Dossal
Einkäufer: Martina Scherhaufer, Bianca Andrea Müllner, Sophia Delian, Moritz Kainhofer
 

Knappe Rohstoffe und Lieferkettenstörungen am laufenden Band

Viele Rohstoffe sind im vergangenen Jahr von heute auf morgen knapp geworden. Begonnen hat der Rohstoffengpass im Frühjahr 2020 mit Alkoholen für Händedesinfektionen. Das Einkaufsteam war damals enorm unter Zeitdruck, musste sehr rasch entscheiden und koordinieren: sind ausreichend Verpackungen vorhanden, gibt es noch Platz im Tank, welcher Kunde nimmt welche Mengen ab?
 
„Es war wie in einem Tetris-Spiel – alles, was reinkam, musste sofort wieder rausgehen, um Platz für Frischware zu schaffen“, erzählt Einkaufsleiterin Justine Dossal. „Anfang diesen Jahres hat sich die Situation dann durch gestörte Warenströme, Force Majeurs, Quarantänemaßnahmen in der Lieferkette und andere Einschränkungen drastisch verschärft. Fast alle Rohstoffe waren knapp, nicht nur Alkohole. Unsere Kontrakte bei Lieferanten wurden einfach storniert - jetzt haben wir Spotpreise und sind erleichtert, dass wir überhaupt Ware bekommen.“ 
 
Neben den Auswirkungen der Corona-Krise kam auch noch der Brexit hinzu, der die Lieferketten zusätzlich unter Druck gesetzt hatte. Martina Scherhaufer war davon besonders betroffen: „Das hat sich über Monate hingezogen, weil die Richtlinien nicht klar waren. Unsere Ware ist wochenlang am Zoll gestanden, wurde dann aber wieder retour zum Lieferanten geschickt, weil sich schon zu viele Lkws angestaut hatten. Im Endeffekt hat es 8 bis 10 Wochen gedauert, bis die Ware endlich eingetroffen ist.“ 
 
Kaum war diese Krise gemeistert, erreichte das Einkaufsteam Ende März die Nachricht von der Suezkanal Blockade. Sämtliche Lieferanten zogen sofort ihre Angebote zurück, wann wieder Ware verfügbar sein würde, war unklar. „Wir haben unser bestes getan, diese Situation zu meistern, aber für einige Wochen war die Lage sehr angespannt bzw. chaotisch“, so Frau Dossal.
 
Inzwischen hat die Verknappung neue Dimensionen erreicht. So sind etwa Produkte aus China teilweise überhaupt nicht mehr lieferbar. „Bisher war immer alles lieferbar, wenn auch mit erhöhten Preisen. Jetzt ist die Situation eingetreten, dass auch Produkte aus China nicht mehr verfügbar sind. Das ist ein absolutes Novum, diese Situation hatte ich noch nie“, erzählt Martina Scherhaufer.
 

Extrem kurze Zeitfenster für Auftragserteilung

Seit nunmehr einem Jahr steht teilweise nur ein Zeitfenster von wenigen Stunden für die Erteilung eines Auftrages zur Verfügung. Das Einkaufsteam muss permanent den Rohstoff-Markt beobachten und Updates einholen. „Preise und Verfügbarkeiten können sich innerhalb von Stunden ändern“, erzählt Sophia Delian. „Man darf den Wendepunkt nicht verpassen und muss immer up-to-date sein.“
 
Die Herausforderung besteht derzeit vor allem darin, Ware zu einem akzeptablen Preis oder überhaupt zu bekommen. „Da helfen uns die Beziehungen mit unseren Lieferanten, die wir jahrelang aufgebaut haben. Außerdem versuchen wir zu antizipieren, was demnächst knapp werden könnte“, so Justine Dossal.
 

Veränderte Warenströme durch Importbeschränkungen

Als Folge diverser Importbeschränkungen in der EU haben sich für einige Produkte die Warenströme gedreht. Während früher z.B. die Ware von den USA nach Europa geliefert wurde, geht die Ware jetzt von den USA nach Asien, um Zölle zu umgehen. Und die Ware, die in Asien produziert wird, geht nach Europa – sofern sie aufgrund der Konjunktur in Asien nach Europa exportiert wird. Somit laufen die Warenströme im Kreis, was in mehrfacher Hinsicht nicht ideal ist.
 
Erhebliche Auswirkungen hatte die kürzlich erfolgte Verhängung von Anti-Dumping-Zöllen auf Importe von Monoethylenglykol (MEG) aus den USA und Saudi-Arabien. Angestoßen wurde dies im Herbst 2020 vom neu gegründeten „Defence Committee of European MEG Producers“. Die Strafzölle sind am 12. Juni 2021 für vorerst sechs Monate in Kraft getreten. Für Importe aus den USA betragen die Strafaufschläge je nach Unternehmen zwischen 8,5 und 52 Prozent. Saudische MEG-Exporte wurden mit einem Strafzoll von 11,1 Prozent belegt.
 
„Von heute auf morgen war MEG in Europa knapp und Einkäufer mussten überlegen, ob die Ware zu diesem hohen Preis eingekauft werden muss, sofern die Ware überhaupt verfügbar war“, meint Frau Dossal. „Lieferanten haben ihre Angebote zurückgezogen, es gab einen Verkaufsstopp und Schiffe konnten nicht entladen, weil niemand wusste, ob die Strafzölle bereits auf diese Ware anzuwenden sind. Wir konnten uns dank unserer großen Tankkapazitäten und guter Lieferantenbeziehungen noch rechtzeitig eindecken, aber zwei Wochen lang war schlichtweg kein MEG am Markt.“
 

Enorme Preissteigerungen erfordern mehr Kommunikation mit Kunden

Im November 2020 kamen auch die Reedereien stark unter Druck. Dementsprechend stiegen bei Importen die Preise drastisch an. Die Kosten für einen Container in China sind bis auf das Zehnfache angestiegen. Ein Ausweichen über Indien hat sich als schwieriger herausgestellt, weil viele Reedereien indische Häfen aufgrund von Corona nicht anfahren wollten. Die Shutdowns chinesischer Häfen treiben die Situation an die Spitze.
 
Kunden, die nahe am Markt sind und regelmäßig Einkäufe tätigen, kennen die Hintergründe der Preisanstiege. Kunden, die aber nur zwei- bis dreimal pro Jahr bei der Donauchem einkaufen, sehen diese Sprünge nicht und können Preisanstiege von 20 bis 30 Prozent innerhalb weniger Monate nicht nachvollziehen. 
 
Obwohl diese Thematik bereits seit einigen Monaten den Alltag im Donauchem Einkauf bestimmt, ist sie noch nicht auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette präsent. „Ich denke, das ist dem Umstand geschuldet, dass Kunden oft bis zu 100 und mehr Rohstoffe einkaufen. In diesem Umfang ist es einfach unmöglich, immer up to date zu sein“, meint Sophia Delian.
 
 „Unser Einkaufsteam ist tagtäglich in Kontakt mit Lieferanten, wir erhalten Reports, wir holen uns Informationen aus dem Internet und zapfen alle erdenklichen Quellen an. Das ist ein Fulltime-Job. Deshalb versuchen wir unsere Kunden, so gut als möglich zu unterstützen und mit Informationen zu versorgen“, erklärt Justine Dossal.
 

Mangel an Tankwägen und Kesselwaggons  

Seit Beginn der Krise sind immer weniger ADR Fahrer verfügbar und die Preise steigen. „Der Mangel an Tankzügen macht kurzfristige Lieferungen schwierig“, meint Bianca Müllner. „Ladungen innerhalb einer Woche sind derzeit kaum machbar. Ganz schlimm war es im Mai mit den Feiertagen, wo überhaupt nichts realisierbar war - ich hatte einen Lieferanten und ein Ladefenster, aber es war unmöglich, einen Tankwagen aufzutreiben.“
 
Nicht nur Tankwägen sind Mangelware, auch Lkws zum Transport von Stückgut sind zeitweise schwierig zu finden. „Für eine Stücklieferung aus Italien war wochenlang kein Lkw zu finden“, erzählt Moritz Kainhofer. „Die vorhandenen Lkws waren alle nicht in Ordnung und wurden nicht abgenommen. Nach zwei Wochen hat es endlich geklappt - nur hat der Lieferant zwischenzeitlich einen Teil der Ware verkauft.“
 
Eine ähnliche Situation ist bei den Kesselwaggons zu beobachten, wo derzeit ebenfalls ein Mangel am Markt zu verzeichnen ist. Besonders brisant war die Situation Anfang des Jahres mit der Einführung des neuen Anti-Breaking-Systems in Österreich. Kesselwaggons, die nicht über dieses System verfügten, wurden an der Grenze gestoppt. Die Folge war ein riesiger Stau, der letztendlich Verspätungen von ein bis zwei Wochen verursachte.
 
Die Vorlaufzeiten sind somit länger geworden und machen es erforderlich, die Planung umzustellen und lange im Voraus zu planen. „Es kommt einfach alles zusammen“, so Dossal. „Es gibt kein Schiff, weniger Tankzüge, weniger Kesselwaggons.“ 
 

Beziehungspflege auf Distanz

Mit dem ersten Lockdown im März 2020 stellte sich die Frage, wie Lieferantenbeziehungen weiterhin gut gepflegt werden können, ohne sich persönlich zu treffen. Bis dahin war das Thema Videokonferenzen fast ein Tabu. Nun musste zwangsläufig schnell umgestellt werden, was durchaus für alle Beteiligten herausfordernd war.
 
„In der Anfangszeit war die Anspannung bei Videokonferenzen noch stark spürbar, heute laufen die Meetings viel entspannter ab“, erzählt Martina Scherhaufer. „Vieles wird dadurch auch einfacher. Wenn es Probleme gibt, organisiere ich schnell eine Videokonferenz mit dem Lieferanten. Das ist persönlicher als telefonieren, und der Austausch funktioniert oft rascher und besser als vorher.“
 
Mittlerweile gehören Online-Meetings zum fixen Bestandteil des Alltages im Einkauf. „Natürlich kommt ein Online-Meeting nicht an ein Face-to-Face Meeting heran, aber es kommt dem sehr nahe“, meint Sophia Delian. „Ich persönliche empfinde den Laptop zwischen zwei Personen nicht als große Barriere“.  
 

Interne Kommunikation neu organisieren  

Neben der Umstellung auf Online-Meetings musste auch die interne Zusammenarbeit neu organisiert werden. Beim Einkauf laufen viele Fäden zusammen, die Kommunikation mit anderen Abteilungen musste nun rasch auch ohne persönliche Meetings funktionieren. Die Lösung fand man in täglichen Videokonferenzen mit Mitarbeitern aus Produktion, Planung, Logistik, Verkauf und Einkauf.
 
„Das hat uns extrem geholfen, gerade in der Zeit als wir zig Millionen Liter Ethanol für die Produktion von Händedesinfektionen eingekauft haben. Der Koordinationsaufwand war enorm“, erzählt Dossal. Von der Organisation der Kesselwaggons über die Entladung, Vergällung und Abfüllung bis hin zur Planung der Lagerkapazitäten musste alles perfekt koordiniert sein, um diese Mengen zu bewältigen.  
 
„Jeden Tag sind sämtliche Aufträge vom Einkauf mit dem Verkaufsleiter abgestimmt worden. Und das ging bis hin zu einem Fass mit 160 Kilogramm - eine winzige Menge für einen Lösemitteleinkäufer, der normalerweise in Mengen von bis zu 24 Tonnen einkauft“ so Bianca Müllner. „Über einen Zeitraum von mehr als vier Monaten haben wir wirklich jeden Auftrag besprochen und dann erst freigegeben - damit nichts durchrutscht und wir nicht etwas versprechen, was wir nicht liefern können.“
 
Die täglichen Online-Jour-Fixes haben sich sehr gut bewährt und sind weiterhin im Einsatz, sobald es erforderlich ist. Aktuell betrifft dies Schwefelsäure, die einer starken Verknappung unterliegt. „Mittlerweile hat sich das gut eingespielt“ sagt Bianca Müllner. „Wir kooperieren sehr eng mit den verschiedenen Abteilungen, stimmen uns mehrmals täglich ab und jeder weiß, was Sache ist.“
 
 

Fazit: Herausforderungen im Einkauf

Seit einem Jahr tauchen ständig neue Herausforderungen auf, auf die das Einkaufsteam reagieren muss. Kommunikation, Flexibilität, tragfähige Beziehungen mit Lieferanten und hohe Lagerkapazitäten sind die Basis für die Bewältigung dieser Herausforderungen. Das Team nimmt es sportlich, denn gerade in der Krise kann der Einkauf zeigen, was er kann. Um es mit den Worten von Bianca Müllner zu sagen: „Wenn man ein Produkt auftreiben kann, wenn man es schafft, doch noch einen neuen Lieferanten zu finden - das ist DAS Erlebnis für einen Einkäufer und die Bestätigung, dass man seinen Job gut macht.“
Donauchem GmbH

www.donauchem.at

Weiterführende Links:
Gestörte Lieferketten bis ins Möbelhaus spürbar (Der Standard, 20.Juli 2021)
Probleme in den Lieferketten treiben die Preise hoch (Der Standard, 27.Dezember 2021)
Donauchem

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